Michelle Reznicek
4er Freitag. Erinnerungen an den Sommer
Aktualisiert: 15. Mai 2020

Als ich heute Morgen auf die Uhr geschaut habe, war es 22.45 Uhr. Die Uhr ist wohl gestern Nacht stehen geblieben. Hoffe ich mal zumindest.
Doch genau so ist es ein bisschen nicht? Die Zeit ist einfach stehen geblieben. Ich glaube, ich bin am 11. März zum letzten Mal «normal» draussen gewesen. Da war ich das letzte Mal im Tanz-Studio in Zürich. Eine sehr merkwürdige Situation – eigentlich bin ich nie länger, als eine Woche nicht im Studio gewesen. Mein Verstand zieht die Zeit einfach zusammen. April und Mai sind verschwunden.
Doch obwohl es im Innern so scheint, als wäre nichts passiert, macht die Natur um uns herum weiter. Sie interessiert sich nicht, für diese oberflächlichen Probleme. Heute stand ich draussen und konnte nicht umhin zu bemerken, dass es allmählich in Richtung Sommer geht. (Ich weiss was ihr denkt – Nein noch überhaupt nicht es sind erst 23 Grad!)
Der Bauer hier – hier wo ich wohne – arbeitet jeden Tag. Ich sehe ihn, wenn er mit seinen Maschinen und seinem Traktor vorbeifährt (oder rast). Von Home-Office keine Spur. Ist ja auch sinnfrei. Er arbeitet allein – oder in seiner Gruppe – und seine Felder werden nicht auf ihn warten. Der Rabs blüht wie wahnsinnig – und gestern hat der Bauer die erste Wiese gemäht. Ich glaube, das ist für mich ein Zeichen von Sommer. Der Geruch von gemähtem Gras, das in der Sonne trocknet. Das Jahr ist schon weit genug, dass man richtig arbeiten kann.
Ich bin kein Sommertyp. Bei mehr als 10 Minuten in der Sonne, kriege ich Kopfschmerzen und werde desorientiert. Ab 26 Grad ist es mir zu heiss und ab 28 Grad, liege ich auf dem Boden im Dunkeln und schmelze. Aber es gibt immer Sachen, auf die ich mich gefreut habe im Sommer. Sommernächte zum Bespiel. Wenn ich nach einer Vorstellung draussen sass und redete. Wenn ich nachts nach Hause lief und es dieses Gefühl gab von: «Alles ist möglich». Ich bin auch kein Festival- oder OpenAir-Fan. Von keinem – bis auf einem. Das Festival am Bodensee. Das «Kulturufer Friedrichshafen» Die Zeit, wenn ich für einen Monat direkt am Bodensee arbeite. Es ist wunderschön da und die Stimmung ist jedes Mal wieder genauso gut, wie beim ersten Mal. Ich treffe Menschen, die ich ein ganzes Jahr nicht gesehen habe – gehe 50 Mal ins Kino Cineplex und (!) OpenAir und freue mich auf die Einladung – wenn unsere Freunde vom Bodensee uns wieder einladen, in ihrem Garten zu grillen. Dieses Jahr ist das Festival abgesagt. Ich glaube es ist das erste Mal seit 16 Jahren, dass ich im Sommer nicht dort sein werde. Ich bin Schweizerin aber den 1 August sah ich in den letzten 16 Jahren von deutscher Seite her – das Feuerwerk ist über den Bodensee übrigens sehr schön zu sehen. Und ganz knallfrei.
Natürlich kann ich gut verstehen, warum so etwas absagt wurde. Immerhin sind es 80 000 Menschen die dieses Festival besuchen. Hätte ich es entscheiden müssen, hätte ich es nicht anders gemacht. Natürlich nicht. Aber schmerzfrei ist es nicht. Immerhin waren wir nicht nur Besucher – wir waren Teil der Veranstaltung. Ich kenne Leute die ihre Jahresplanung nach diesem Festival richten. Und die werde ich auch nicht zu sehen bekommen. So ein Mist.
Ich muss mir ständig anhören das es «Nie wieder so sein wird wie vorher!» Was für ein Mist ist das denn? Woher wollen die das denn wissen? Und übrigens, nach der Kriegszeit war es auch nicht mehr so wie vorher – ich glaube aber zu wissen, dass die Leute sich darüber gefreut haben. Nicht so sein wie vorher – na ich hoffe mal, dass wir naher keine Pandemie und keine Panik mehr haben.
Ich glaube es werden viel einfach «Standartsätze» rausgehauen – die die Leute am Fernseher gehört haben und die sie nun als Tatsachen wiedergeben, weil sie gewichtig klingen. Gestern war ich bei einem Grossverteiler einkaufen – der normalerweise nur für Gastronomiebetriebe geöffnet hat. Weil auf meinem Wagen nichts drauf war, hat mich der Kassierer gefragt, ob ich nichts gefunden oder nichts gewollt habe. Ich meinte, dass mein Einkauf auf dem Wagen meiner Begleitung sei. (Was auch stimmte) und wir keinen zweiten Wagen gebraucht hätten. Er meinte daraufhin, dass es schöner wäre, wenn beide Wagen voll wären – und ich antwortete: Das hätte ich auch wieder einmal gern, aber die Grossveranstaltungen an denen ich arbeite, leider aktuell nicht stattfänden. Seine Erwiderungen war: «Ja noch lange nicht!» ich habe ihn einfach angeschaut, etwas zu beleidigt um etwas zu sagen. Ich arbeite in einer Eventfirma. Events sind unsere Überlebensgrundlage. Könnte er ein wenig weniger unfreundliche Aussagen machen? Wenigstens nicht direkt vor einem Eventveranstalter? Ich nehme arg an, dass ich nicht die einzige bin, die auf solche Aussagen empfindlich reagiert. Oder? Könnte sein das ein anderer Gastwirt da auch nicht die grösste Freude hat, über eine solche «Weissagung»
Ich mache gerne Events. Und sie fehlen mir. Nicht nur die Finanzen. Mir fehlen «Zuschauer» die «Teilnehmer» und vielleicht die «Sorglosigkeit».
Wieso also eine düstere Prognose anstellte von: Weiss ich leider auch nicht. Oder – das Hoffen wir auch. Warum eine Behauptung an Stelle der Wahrheit? Wir wissen es noch nicht. Sei mal ein bisschen taktvoll. Du darfst ja noch arbeiten. Ich bin bald 7 Wochen arbeitslos.
Beim Gehen – wenn das Kulturufer vorbei ist – sagen die Mitarbeiter und Veranstalter sich immer gegenseitig – bis nächstes Jahr. Und wir alle wissen, wie lange ein Jahr sein kann – wie viel passieren kann, wie viele Stolpersteine, Freuden und Trauriges dazwischen liegen kann – und dass es auf eine Art immer wieder ein Wunder ist, wenn wir uns alle genau so wiedersehen.
Niemand hätte im letzten Sommer gedacht, wie lang dieses «Bis nächstes Jahr» dieses Mal sein würde. Schon ein Jahr kann wahnsinnig lange sein.
Trotzdem hat es sich gezeigt, dass auch das längste Jahr irgendwann einmal zu Ende geht. Und das nächste Mal beginnt.
Also liebe Welt – auf ein Frohes Neues Jahr.