Michelle Reznicek
Der ungebetene Gast

Wer kennt Ihn? Bei mir ist er Dauer-Gast. Er sitzt neben mir und lässt mich nie ganz aus den Augen. Manchmal ist er leiser, manchmal lauter. Oder ganz besonders laut. Wie es bei mir letzten November der Fall gewesen ist:
Ja. Ich weiss. Letzten Monat – da war irgendwie kein Blog-Beitrag von mir. Nirgendwo.
Das interessiert sowieso niemanden. Jetzt haben sie nur noch zusätzlich die Gewissheit, dass du nicht nur nervig sondern auch noch inkonsequent bist. Ausserdem – hör mal willst du das hier wirklich schreiben? Dann schreib dann eh wieder jemand, in die Kommentare bei Facebook, dass du blöd bist und verschwinden sollst. Das war beim Letzten Mal ja schon so super. Weisst du noch wie lange du dich darüber aufgeregt hast? Ich weiss es noch: Zwei Wochen.
Letzte Woche, gerade als ich meinen Blog-Beitrag fertig machen wollte, kam die Nachricht von meiner Verlegerin. «Wie machen wir die Buchvernissage? Wie viele Bücher sollen wir bestellen?» Solche Veranstaltungen sind schon anspruchsvoll genug, auch ohne das man 3G Regeln berücksichtigen und Leute nach ihrem Impfstatus fragen muss. Zeitgleich fand der erste grosse Anlass statt, den ich mit organisiert hatte, seit zwei Jahren. Und in dieser Woche, in der Schlafen und Essen nur noch optional war, wurde eben alles andere zur Nebensache.
Ach ja? Du bist doch nur zu faul. Und zu dumm. Vergiss nicht. Zu dumm um deine Sachen geregelt zu kriegen. Es ist nur ein Beitrag im Monat. Herrgott noch Mal. Andere posten jeden Tag.
Ach – Hallo Lieber Innere Kritiker. Da bist du ja mal wieder.
Wer kennt sie nicht: Die leise, oder laute oder sehr laute Stimme in seinem Inneren, die ständig kommentiert, was man man falsch macht oder gar falsch machen könnte.
Und bei mir ist er wieder einmal auf Hochtouren. Aber zumindest kann ich ich gerade von meiner inneren Stimme unterscheiden. Er kritisierst mich ja nur, die Innere Stimme kann etwas mehr. Aber er kritisierst ja nicht nur mich. Manchmal kritisiert der Innere Kritiker sich sogar selbst.
Oh Mann, musst du dich wieder niedermachen? Herrgott noch einmal, dass kostet dich Kraft und Konzentration und du bist ohne hin schon nicht so gut wie die anderen. Wie dumm ist es eigentlich sich dauernd nieder zu machen? Überlass das den anderen, die machen das sowieso!
Eigentlich denke ich, können wir oftmals, gar nicht von einem: "Inneren Kritiker" reden. Schliesslich besucht ein Kritiker nur die Show und gibt dann seinen Verriss ab. Wir lesen ihn, regen uns auf, und die Zeitung wandert ins Altpapier. Es ist eher ein Innerer Diktator, nach dessen Pfeife wir tanzen.
Er ist da um uns in Balance zu haben. Ja – er hat tatsächlich einen Zweck. Doch man muss seine Motive genau durchleuchten. Will er uns wirklich anspornen besser zu sein? Will er uns wirklich dazu bringen unsere Leistung in Angesicht, von äusserer Anerkennung und grossspurigem Lob, noch realistisch zu betrachten? Oder ist seine Stimme zu laut und unerbittlich? Schrumpft unter seiner Kritik alle Leistung auf ein Nichts zusammen? Bringt er uns davon ab, unsere Leistung anzuerkennen und uns so besonders zu fühlen, wie wir sind?
Oder nehmen wir ihn als Ausrede? In dem wir uns von ihm von davon abbringen lassen, Dinge auszuprobieren, von denen wir noch nicht wissen, ob sie klappen werden? Denn wir wissen ganz genau: Wenn er uns von dem Versuch abbringt, dann können wir sagen: Ich hab mich nicht getraut. Dabei können wir uns eine bequeme Hintertür aufhalten: Hätte ich mich getraut wäre es sicher grossartig geworden. Was viel besser und angenehmer ist und ausserdem viel weniger anstrengend, als sagen zu müssen: Ich habe versagt: Ich hätte mich nur trauen müssen.
Ein wenig haben wir ein Bild von ihm in unseren Köpfen – genährt von vielen TV Sendungen. Bei mir erscheint der Innere Kritiker in der Form des Restaurantkritiker. (Ein Mensch, der in der Erscheinung schon sehr unsympathisch ist, jedes Haar in der Suppe findet, auch wenn keines drin ist – das Geschirr umdreht und unter den Tisch kriecht. Restaurantbesitzer und Kellner zittern vor ihm. Und das alles, wärend wir sicher und amüsiert – vielleicht auch ein bisschen angenehm gegruselt, auf unserer Coutch sitzen.)
Sag mal: Willst du wirklich so viel von dir Preis geben? Du machst dich nur wichtiger als du bist, und ausserdem machts dich verletzlich. Das ist eine dumme Idee. Verletzlich ist immer eine dumm Idee.
Im Allgemeinen sitzt er auf der linken Schulter. Irgendwo dort, wo er sich ausserhalb des Gesichtsfeldes befindet. Er ist nicht sichtbar – doch dafür umso hörbarer. Er spricht mit sehr vielen verschiedenen Stimmen. Sein Repertoire ist unendlich gross. Manchmal tarnt er sich mit Stimmen von Freunden oder er spricht mit der Stimme unserer Eltern und Familienmitgliedern. Manchmal spricht er hintertückisch mit einer Stimme die wir nicht von unserer eigenen unterscheiden können. Manchmal aber auch mit Stimmen, die wir gar nicht kennen und erzählt uns dass die Stimme der "Welt" ist. Er redet so viel, dass seine Stimme schon so gewöhnt ist, dass wir kaum mehr wahrnehmen, dass jemand spricht.
Man kann nicht sagen, dass der innere Kritiker dumm wäre oder dass seine Argumentation ins Leere ginge. Er kennt uns gut. Und er kennt die Risiken.
Manchmal aber, höre ich seiner Stimme im Kopf an, dass er müde ist. Er ist ein kleiner, überarbeiteter Spiesser in meinem Kopf, der nie eine Pause darin macht, mich beschützen zu wollen. Und wenn ich es so sehe. Dann denke ich manchmal einfach: Ruh dich aus. Wir sind in Sicherheit.
Es bringt nichts seine Stimme zu ignorieren. Sie wird noch nur lauter. Was uns bleibt, ist ihn gelassen anzuhören und seine Worte auf die Wahrheit zu prüfen. Was möchte er uns gerne sagen? Und was wollen wir daraufhin tun?