Michelle Reznicek
Die hohe Kunst des Zuhörens

Diese Woche durfte ich wieder einmal Teil eines Auftrittes und einer Show sein.
Die Auftritte haben sich etwas verändert. Sie sind leiser geworden – weil weniger Zuschauer – und umso wertgeschätzter.
In letzter Zeit höre ich öfters: «Sie sind die erste Veranstaltung die wir machen durften – und – wir haben uns sehr auf sie gefreut.»
Das sind die Aussagen wo diesen Beruf so unendlich wertvoll machen. Wo sonst darf man das denn schon hören?
Zur gleichen Zeit laufe ich an eine lustige Sache ran. Menschen die auf mich zukommen, und so tun als wollten sie mit mir ein Gespräch führen – doch in Wahrheit wollen, dass ich ihnen zuhöre. Sie wollen nicht, dass ich ihnen etwas sage, oder antworte – sie wollen mir etwas erzählen. Ich muss mir dann fast das lachen verbeissen, weil sie mir häufig erzählen – was ich gerade gemacht habe.
Sie sind dann wie Kinder die dann diesen einen Satz sagen: Ich muss dir etwas sagen. Nur das die Erwachsenen so tun, als wollten sie ein Gespräch führen. Dabei wäre es völlig in Ordnung, wenn sie sagen würden: Ich muss dir etwas sagen. Es ist für mich völlig okay eine Weile dazustehen und ihnen beim ordnen ihrer Gedanken und Eindrücke, zu zu hören. Es ist ein Kompliment, für uns, wenn der Eindruck so stark ist, dass man ihn in Worte fassen muss.
Doch zuhören scheint eine Kunst zu sein. Kommunikation ist immens schwierig.
Warum ist Kommunikation so schwierig? Vielleicht weil es damit beginnt, dass der Erzählende sein Bedürfnis oft gar nicht kennt.
Oftmals ist der Erzählende wie eine Dampfwalze – er überfährt dich einfach, mit seinem Vortrag. Doch anstatt zu sagen: ich muss etwas los werden, darf ich dir das erzählen? Tut man so als würde man ein Gespräch führen. Mehr noch – man tut so als wollte man einen Rat – oder gar eine Lösung. Nein. Man will nicht, dass der andere sich beteilig – man will einfach diesen Schwall los werden.
Natürlich geschieht es auch häufig das der Zuhörende denkt, er müsse dem Redenden einen Rat geben. Dabei will dieser doch nichts weiter, als sich einfach einmal laut beschweren.
Warum muss Kommunikation so schwierig sein? Und gleichzeitig so wichtig? Anstatt zu sagen was man braucht, muss es der andere «spüren». Anstatt das man es zuhört, feuert man vorgefertigte Ratschläge, sogenannte instant-Ratschläge auf den andere ab, in der Hoffnung das was? Das Gegenüber aufhört zu reden?
Jeder will reden, doch keiner will zuhören. Es variiert nur noch, ob man auch will, das man gehört wird oder nicht. Manche wollen nur laut denken.
Was für Formen der Kommunikation gibt es denn? Zum einen, und das klingt für mich am gescheitesten: Reden und zuhören. Zuhören und reden lassen. In den ersten paar Mal ist es vielleicht anstrengend, doch eine solche Kommunikation ist die gesündeste, einfachste und interessanteste. Auf solcher Kommunikation baut eine Beziehung auf. Es gab sogar eine Studie, mit Menschen, die sich völlig fremd waren, die die Aufgabe erhielten sich vorfasste Fragen zu stellen. Man stellte eine Frage – dann hörte man sich die Antwort an (Und zwar wirklich) und umgekehrt. Diese Menschen hatten nach dem Experiment das Bedürfnis den anderen wiederzusehen. Sie hatten das Gefühl eine Beziehung aufgebaut zu haben. Wir sehen also wie stark diese simple Tat ist.
Doch oftmals: Partei A will jammern. Partei B missversteht das und will eine Lösung finden. Auch sehr anstrengend für beide. Oder Partei A braucht unbedingt jemand der zuhört – Partei B hört aber nicht zu. A wird immer verzweifelter und lauter – B wird immer mehr überfahren. Für beide kein zufriedenstellendes Ergebnis. Oder A verweigert die Kommunikation und verlangt «Das man das spürt» auf völlig ungerechtfertigter Grundlage, denn niemand kann Gedankenlesen, selbst bei langjähriger Partnerschaft geht das nicht (Und nichts ist so unangenehm wie wenn der andere verlangt das man Gedanken liest – das ist nicht fair liebe Leute.) und der B wie wild versucht zu hören, was der andere nicht sagt und es sich stattdessen ausdenkt, womit keinem geholfen ist. Nein. Einfach nein. Niemand kann spüren was der andere denkt. Sonst wäre Mental-magie kaum so faszinierend.
Und dann gibt es die den andere als verbalen Abfalleimer verwenden. Zwischen durch ist es legal, doch man sollte nach einer Weile, endlosen Referaten und monotonen Monologen vielleicht mal so fair sein und selbst einsehen, dass man keinen Rat will. Möglichst bevor dem anderen die Ohren abfallen.
Sehr unhöflich finde ich auch eine Variante, die ich ab und an schon erlebt habe: Eine Frage stellen und sich die Antwort nicht anhören wollen. Ich stehe dann immer mit offenem Mund da und frage mich dann unwillkürlich bin ich zu langweilig? Oder meine Antworten hervorsehbar zu lange, weswegen man sie nicht abwarten will? Oder wenn ich mitten im Satz unterbrochen werde, von einer dritten Person und mein Zuhörer nicht merkt, dass ich den Satz nicht beendet habe. Dass ist für mich häufig der Moment, in dem ich das Gespräch beende. Es ist mir der Aufwand nicht wert. Auch wenn mein Gegenüber anfängt das Handy zu checken. Ich bin schon alt. Das galt und gilt zu meiner Zeit als unhöflich. Der Mensch der vor dir steht hat sich immerhin die Mühe gemacht, vor dir zu stehen.
Und obwohl zuhören anstrengender ist, hat es einen grossen Vorteil. Man erfährt dann nämlich mehr über den andere – und nicht über sich selbst. Wer sich immer nur sich selber reden hört, hat nie eine Ahnung wer die Menschen sind, die ihn umgeben.
Ausserdem, wer hat sich eigentlich diese bescheuerte Regel ausgedacht, dass man auf die Frage: Wie geht es dir? Nur noch mit «gut» antworten darf? Das ist wirklich bescheuert. Ich verstehe das dies unter Umständen eine sehr persönliche Frage sein kann und dass man nicht immer antworten möchte. Und vielleicht geht es anderen auch wie mir, dass die Antwort auf diese Frage lautet: ich weiss nicht – ich habe heute noch nicht darüber nachgedacht. Muss es denn immer irgendwie gehen? Aber was ist mit denen die man fragt und schon vor dem letzten Wort rufen: Gut! Und dann so ein Kampflächeln aufsetzten? Und umkehrt, die die Fragen die es dann aber nicht hören wollen? Warum dann einfach nicht fragen? Man muss nicht immer reden. Manchmal reicht auch ein: «Guter Tag.» und zur Not: «Auch hier?»
Zuhören dauert doch meist nur zwei Sekunden länger.
Und sollte man der sein, der von einem menschlichen Wasserfall überrollt wird – es lohnt sich zu zu hören. Der Schwall eben meist nach einer Weile ab – weil der Redende endlich einmal gehört worden ist. Und nicht aus lauter Panik das ihm keiner zuhört, immer lauter, immer mehr, und immer schneller reden muss, aus lauter Hoffnung, dann zu jemanden durch zu dringen.
Erinnert ihr euch? In der Schule sagte der Lehrer doch häufig: Hinsetzten, Mundhalten, Augen zu mir und zu hören. Das ist etwas das wir heute auch einmal zwischendurch machen sollten. Denn genau wie beim Lehrer können wir beim Zuhören etwas lernen. Etwas über den Menschen uns gegenüber und vielleicht sogar etwas über die Welt, was wir vorher noch nicht wussten. Doch anders als bei unserem Lehrer haben wir danach die Chance, dass wenn wir etwas erzählen, einen richtigen Zuhörer haben.
In diesem Sinne schicke ich meine Worte hinaus in dieses grosse, leere Schweigen. Wer weiss. Vielleicht hört ja auch mir jemand zu und fühlt sich auf irgendeine Weise verstanden.