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  • AutorenbildMichelle Reznicek

Skydancer


«Mein Name ist Walter Müller.»

Walter Müller – ein kleiner farbloser Bankier, der in seinem Leben noch nie etwas erlebt hat. Der noch nie einen Traum verwirklich hat. Elias Lee. Ein charmanter – eloquenter Verlagsleiter, dessen Lächeln ihm jede Tür und jedes Herz öffnet.

Ich starre in den Lauf einer Kamera. Das glänzende Rund, erinnert schwer an ein schwarzes Auge, dass zurück starrt. Die Schönheit lieg im Auge des Betrachters – wie man so schön sagt. Aber was denkt wohl dieses Auge davon? Der Lichtblitz lässt mich rasch zwinkern, meine Augen tränen. Und mein Lächeln wirkt immer steifer. Fotogen bin ich wirklich nicht. Aber meine Photographin ist wirklich gut und darüber bin ich froh. Ich bin froh das sie mir gegen über steht, und niemand anders.

Mal ehrlich. Nach der ganzen Zeit hätte ich darauf kommen können, doch irgendwie habe ich es erfolgreich verdrängt. Als meine Verlegerin sagte, wir wären am letzten Durchlauf – danach käme nur noch das Korrektorat, war ich überrascht. Man arbeitet auf ein Ende hin – doch wenn es dann da ist, ist man trotzdem völlig irritiert.

«Schau es noch Mals durch – und ich brauche dann noch ein Foto von dir, für die Biographie.» womit wir wieder beim Tema wären. Ich hätte darauf kommen können, dass wir für mein Buch noch ein Portraine brauchen würden, doch ich habe es irgendwie vergessen. Schliesslich geht es ja um das Buch, um die Geschichte und nicht um mich. Würde ich mich anbieten, so fände ich es eher logisch.

«Mach nicht so ein Bitch-face.» sagt meine Photographin und ich lache. Damit höre ich aber rasch auf, denn das möchte ich nicht auf dem Foto haben. Wenn ich so lache sehe ich aus wie ein Halloweenkürbis. Zumindest auf Fotos.

Doch ich kann sicher sein, dass diese Fotos gut werden. Schliesslich macht sie Mary. Mary Hong, die beste Fotografinnen, die ich je kennen lernen durfte.

Erst habe ich daran gedacht, eines der Portraits Fotos zu nehmen, die ich schon hatte, nur um festzustellen, dass sie fast alle über zwei Jahre alt waren. Alternativ gib es nur noch ein Passfoto von mir – das seinen Zweck, nämlich erstaunlich grässlich auszusehen, perfekt erfüllt. Ich hatte drei Versuche in der Passfotobox. Beim ersten habe ich mich natürlich bewegt. Beim zweiten sah ich aus wie ein Häftling, nach drei Jahren Haft – das dritte war okay für ein Passfoto. Als ich Nummer 3 anwählte zum Ausdrucken, sagte der Automat dass es nicht zulässig sei. Das möchte heissen, es war ihm nicht hässlich genug. Ich hatte keine grosse Lust, nochmals 10 Franken raus zu schmeissen, um nochmals Fotos zu machen die genau so hässlich, wenn nicht schlimmer wurden, nach dem mir das Amt dieses Foto hier nicht genommen hätte.

Also wurde es Nummer 2 – drei Jahre Haft.

Nach dem Mary ihre beeindruckend schwere Kamera weg legt, hat sie ein paar Hundert Fotos gemacht. Wie immer bin ich von zwei Dingen Überrascht. Erstens: wie viele durchaus verwendbar wären und wie wenige so aussehen wie die furchtbaren Fotos, die ich von mir kenne. Als ich Mary dieses Kompliment ausspreche sagt sie nur, dass liegt an der Kamera. 21 Tausend Pixel – man sehe damit alles. Ich schaue sie an. Warum es deswegen besser aussehen sollte, ist mir ein Rätsel. Für mich sind 21 Tausend Pixel, nur 21 Tausend Details in denen ich dumm aus der Wäsche schauen kann.

Wie man sich in einer kurzen Zeit doch verändert. Wenn ich die Fotos von vor 2 Jahren mit heute vergleiche, ist der Unterschied frappierend.

Auf manchen dieser neuen Fotos sehe ich für mich selbst, fremd aus. Liegt es am Blickwinkel? Man sagt, dass man sich vor dem Spiegel automatisch immer in die gleiche Pose wirft, und so die anderen Blickwinkel von sich gar nicht kennt. Manchmal frage ich mich wie andere Menschen mich sehen. Rein physisch. Sehe ich für sie klein aus? Wie würden sie mich jemandem beschreiben, der mich erkennen müsste?

Es ist so viel passiert in den vergangenen zwei Jahren. Ich habe so vieles erlebt, obwohl die letzten acht Monate sehr Ereignis arm waren – also kommt eigentlich darauf an, wie man es nimmt. Es gab eben nur ein grosses Ereignis.

Skydancer. Das Buch dessen letzte Korrekturrunde nun angebrochen ist. Ich stelle mir es vor, wie ich es dann zum ersten Mal in Händen halten werde. Wie werde ich das Cover finden? Wird es glänzen oder matt? Werde ich die Grösse als richtig empfinden?

Ich freue mich darauf. Ich freue mich wirklich darauf. Trotzdem ist es seltsam. Nach all der Arbeit, all der Zeit, all der Korrektur, kommt es mir so surreal vor, dass es nun endlich so weit sein wird. Nächstes Frühjahr.

Ein bisschen traurig macht es mich. Denn sobald die Korrekturarbeit abgeschlossen ist, muss ich das Buch auf eine Art loslassen. Auch wenn Korrekturarbeit nicht das einfachste oder angenehmste ist, verbringt man doch Zeit mit seinem Buch.

Walter Müller. So lautete der Titel noch, als ich 18 war und das Buch schrieb. Dann hiess es «Irgendwo dazwischen», dann war es «Neustart.» und nun wird auf dem Cover: «Skydancer – Niemand spielt eine Rolle» stehen.

Ich mag den neuen Titel. Auch wenn es für mich immer noch Walter Müller heisst, und es auch immer bleiben wird. Trotzdem musste der Titel weichen. Marketingtechnisch nicht zu gebrauchen, weil er eben, dass auslöst was er bedeutet. Ein leicht zu verwechselnder, nichtssagender Name.

Mein lieber Walter. Wie gerne habe ich die Geschichte meines Protagonisten verflogt. Wie gerne habe ich ihm ein neues Leben erschaffen.

Vielleicht ist zu erwähnen: In meiner Geschichte geht es um Walter Müller – den absoluten niemand – und Elias Lee, der absolute jemand. Sie treffen sich an einem Ort zwischen hier und da. Am Flughafen an einem Dienstag.

Elias steigt ins Flugzeug – Walter bleibt zurück. Und was mit einem kleinen Scherz begann, wird auf einmal Realität. Ganz plötzlich, ist Walter Müller – Elias Lee. Und findet es gar nicht lustig.

Die Geschichte geht um den einen Menschen, den wir als unser Ideal verstehen. Der Mensch, der alles im Griff hat, dem alles leichtfällt und von dem wir glauben, wenn wir er oder sie wären, wäre unser Leben perfekt. Doch kennen wir den Menschen hinter dem Bild des Ideals wirklich, oder sehen wir ihn hinter dem Blendwerk überhaupt nicht?

Mein lieber Walter. Nun ist unsere gemeinsame Zeit fast zu ende. Wie schade. Denn ist eine Geschichte erste einmal auf Papier, ist man ein Schritt weiter von ihr entfernt. Und hat man sie erst einmal fertig zur Veröffentlichung – so ist sie schon fast aus der Tür.

Ich blicke auf meine Portraitbilder hinunter. Vierfach sehe ich mein eigens Gesicht. Was werde ich sehen, wenn ich sie in drei Jahren anschaue. Was in 5 Jahren oder in 10?

Und danach?

Nun Walter, wir beide wagen uns weiter in die Welt hinaus. Doch meine und deine zukünftige Reise liegt im Ungewissen.

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